Am 12.05.2022 luden Österreichs Wanderdörfer Experten aus der Praxis sowie TeilnehmerInnen aus Deutschland, Österreich und Italien dazu ein, in Ellmau am Wilden Kaiser Fragen zu Mobilität im alpinen Naturraum zu diskutieren. Mit einer wunderschönen Aussicht auf den Wilden Kaiser wurden u.a. neue Mobilitätskonzepte, alternative Lebensraumentwicklung und neue Trends in der Besucherlenkung diskutiert. Die Region Wilder Kaiser gilt als Best Practice Beispiel mit den am meisten zertifizierten Wanderdörfern.
Beziehungsmanagement statt Besucherlenkung
Moderiert wurde das Programm von Ulrich Anders, Geschäfsführer ÖWD & TAO, welcher gleich zu Beginn die Relevanz des Tourismus für nachhaltige Mobilitätskonzepte betonte. Wie soll der Tourismus auf die hohen Gästezahlen reagieren? Als Tourismusbetrieb sei man am direkten Touchpoint der Gäste - hier geht es um freundliches und angenehmes Beziehungsmanagement anstatt um strenge Besucherlenkung.
Energieproblem nicht in der Menge, sondern in der Verteilung
Im ersten Vortrag stellte Martin Klässner, Gründer von has.to.be, Einblicke in die aktuelle E-Mobilität in Europa vor. Das Unternehmen gilt als einer der europäischen Marktführer für die Software der Elektroauto-Ladestationen. In Österreich beträgt der Marktanteil ca. 70%. Klässner betont, dass, obwohl sich die Lösungen bzgl. E-Mobilität langsamer als erwartet entwickelt haben, es jetzt umso schneller gehen wird - und hier müssen auch TouristikerInnen am Ball bleiben. Reisen mit dem E-Auto sei mittlerweile problemlos möglich, da eine flächendeckende Ladestruktur vorhanden sei. Die aktuelle Herausforderung liege im Timing des Energieverbrauchs - dieser findet momentan hauptsächlich tagsüber statt, während nachts kaum Energie benötigt wird. Das“Energieproblem” liege somit nicht in der Menge, sondern in der Verteilung. Ziel ist es demnach einen gleichmäßigen Energieverbrauch am Tag und in der Nacht zu schaffen. Bis 2028 wird der Heimladebereich immer mehr ausgebaut werden, wodurch Ladezeiten in die Nacht gelegt werden können.
Destinationscharging als USP
Mit dem steigenden Privatanteil von ElektroautonutzerInnen werde auch das “Destinationscharging” immer wichtiger, so Klässner. Dies hat zur Folge dass das Vorhandensein von Ladestationen in Destinationen bzw. an Beherbergungsbetrieben immer mehr zur Kaufentscheidung der Gäste beitragen werde. Auch das “Retailcharging”, das Laden auf dem Supermarktparkplatz, werde zunehmen. So hat sich z.B. Lidl vorgenommen bis Ende 2023 an jedem Markt mind. 1 Ladestation für E-Autos zu errichten. Mittels Schnelladevorgang kann so das Auto während des Einkaufs vollständig aufgeladen werden.
Information, Information, Information
Nach einer Kaffeepause stellte Lukas Krössslhuber, Geschäftsführer des TVB Wilder Kaiser, die ganzheitliche Mobilitätsplanung am Wilden Kaiser vor. Der TVB Wilder Kaiser wurde erst am Vortag von Vitalpin für seine Mobilitäts-App Naturtrip Tirol (Urlaub ohne Auto endlich einfach) prämiert. Lukas Krösslhuber betont: In der heimischen Bevölkerung ist der Verkehr der größte Punkt in der negativen Wahrnehmung des Tourismus. Aus diesem Grund hat sich der TVB Wilder Kaiser zum Ziel gesetzt, das Autofahren so weit wie möglich zu reduzieren und an folgenden Punkten zu arbeiten:
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Grüne Anreise. Wie können Gäste zur Anreise mit der Bahn überzeugt werden? Was sind die Motive der Gäste zum Bahnfahren?
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Bedürfnisse sollten lokal befriedigt werden, sodass der Gast sich nicht so viel bewegen muss. Hierzu ist vor allem eine entsprechende Raumordnung (Infrastruktur) etc.) wichtig!
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Mobilität als Teil des Erlebnisses machen. Der Gast sollte sich regional mit Leihrädern (Nextbike) bewegen können und attraktive Zubringerwege zu Startpunkten vorfinden.
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Besetzungsgrad der Autos berücksichtigen. Voll besetzte Autos sollten Vorrang vor Einzelpersonen haben, z.B. bei der Parkplatzsuche.
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Information, Information, Information. Die Gäste müssen im Vorhinein über ihre Optionen informiert sein, hier spielen v.a. die Beherbergungsbetriebe eine große Rolle.
Als ein weiteres spannendes Projekt gilt hier Kufstein Mobil - ein regionales Kompetenzzentrum, welches das Ziel verfolgt, die Mobilitätswende in der Stadt und Region Kufstein zu unterstützen und zu gestalten.
Welche Haltestelle ist die wichtigste der Welt?
Im nächsten Vortrag brachte Markus Frewein, Geschäftsführung verkehrplus, einen neuen Blickwinkel mit ein in die Diskussion. Als Verkehrsplaner betrachtet er die Verkehrswelt nicht mit ihren Grenzen, sondern mit ihren Möglichkeiten. Seine Message an alle TouristikerInnen: Wir konstruieren unsere Welt selbst - also wo wollen wir hin? Das Ausmaß, wie der öffentliche Verkehr und dessen Haltstellen entsprechend konstruiert und gestaltet werden, hat einen erheblichen Einfluss auf dessen Wahrnehmung und Nutzung. Welche Haltestelle ist die wichtigste der Welt? Jede Haltestelle ist ungemein wichtig! Darüber hinaus fordert Frewein, statt mehr Ladestationen zu bauen, solche bei Supermärkte und in Destinationen zu errichten bzw. auch mehr Parkplätze für Lastenfahrräder. Der Verkauf von E-Bikes habe sich in den letzten Jahren verzwanzigfacht, 8 von 10 verkauften Mountainbikes seien elektrisch angetrieben. Insgesamt solle in der Verkehrsplanung nicht mehr das Auto, sondern das Rad die Nr. 1 werden. Markus Frewein fordert alle auf zum
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mutig sein,
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mehr machen und
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es vor allem schneller machen!
Lebensraumentwicklung statt Urlaubsraumentwicklung
Im Anschluss stellte Jan Schubert, Destinationsmanager & Tourismusberater, Praxisbeispiele und Lösungsansätze aus dem Allgäu vor. Er appellierte dabei an die Verantwortung des Tourismus für Gäste UND Einheimische zuständig zu sein. Besucherlenkung sei ein Teil von Mobilitätslenkung, weshalb im Allgäu künftig sog. MobilitätsmangerInnen eingesetzt werden, um die Verkehrswende sinnvoll zu gestalten. Diese fängt vor allem auch bei FußgängerInnen an, welche deutlich mehr in den Mittelpunkt gerückt werden müssen. Regionale Mitfahrzentralen und digitales Parkmanagement bilden weitere wichtige Themen. Ein Vorbild, auf das Schubert in seinem Vortrag verweist, sei der neue Mobilitätsservice des Deutschen Wanderverbands, welcher per Klick auf der Wanderkarte auch Echtzeit-Fahrpläne des ÖPNV bietet. Was noch abzuwarten bleibe, wie das angekündigte 9€-Ticket in Deutschland im Sommer 2022 angenommen werde.
On-Demand-Mobilität erhöht ÖPNV-Auslastung
Tibor Jermendy, Head of On-Demand Mobility Österreichische Postbus AG, stellte in digitaler Zuschaltung den ÖBB Postbus Shuttle vor. Die erste und letzte Meile zu Haltestellen hin bzw. von Haltestellen weg, stellen häufig die größte Hürde für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs dar. Die weltweiten Trends Urbanisierung, Flexibilisierung und Mobilität treiben die Nachfrage nach On-Demand-Systemen, wie z.B. Streaming, immer stärker voran. Auch im Verkehr schaffen diese Systeme praktische Lösungen. Mit dem neuen Postbus Shuttle sind keine fixen Abfahrtszeiten mehr gesetzt, vielmehr sollen flexible Abfahrtszeiten und individuelle Haltestellen für eine stärkere Nutzung und höhere Auslastung der Busse sorgen. Telefonisch oder per App können Fahrgäste ihre gewünschten Abfahrtszeiten und Zielpunkt spätestens eine halbe Stunde vor Abfahrt angeben, woraufhin für den Shuttle-Bus eine Route erstellt wird. Laut Tibor Jermendy hat sich dieses System im letzten Jahr bereits bewährt und die Auslastung der Busse deutlich erhöht.
Parkplatzbewirtschaftung als Finanzierungsmöglichkeit
Schließlich thematisierte Ulrich Andreas, Geschäftsführer Österreichs Wanderdörfer, die Finanzierung der vielen Möglichkeiten für nachhaltige Mobilitätskonzepte. Denn klar sei, dass die vorgestellten Ideen zwar ökologisch und nachhaltig sind, jedoch auch hohen Finanzierungsbedarf haben. Wie kann hier eine wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung stattfinden? Eine Möglichkeit sieht Ulrich Andreas in der Parkplatzbewirtschaftung. Dass ein Wanderparkplatz nicht mehr kostenlos genutzt werden könne, verstehe mittlerweile jeder in Tirol. Auch hier gilt aber, Information ist das A & O! Über die Einnahmen der Parkplatznutzung können Mittel für weitere nachhaltige Maßnahmen geschaffen werden.
Dieser Beitrag gibt Einblicke in das Programm des Wandersymposiums 2022, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das MCI Tourismus wurde von Fabian Erhart MA, Denise Fecker MSc, und Tanja Rehberger MA vertreten. An dieser Stelle bedankt sich das Team von MCI Tourismus für die tolle Organisation durch Österreichs Wanderdörfer, die spannenden Vorträge alle Speaker und die hervorragende Versorgung durch die Kaiser Lounge!
Denise Fecker MSc
Denise Fecker hat ihren Bachelor in "Mehrsprachige Kommunikation" sowie den Master "Markt- und Medienforschung" an der TH Köln absolviert. Zudem hat sie praktische Erfahrung in einem Kölner Marktforschungsinstitut gesammelt und arbeitet nebenher als Skilehrerin.
"Der TTR als Gesicht der Tiroler Tourismusforschung bringt allen Tourismus-Interessierten spannende Einblicke in aktuelle Themen in ganz Tirol. Um für Tiroler Entscheidungsträger stets fundiertes Wissen bereitzustellen, steht der TTR im ständigen Austausch mit Praxis und Wissenschaft, sodass es immer wieder Neues zu entdecken gibt."
Im TTR Team: seit August 2020
Zuständig für: Inspiration & Tourismusforschung
Fabian Erhart MA
Bildnachweis: MCI Tourismus
Datum: 18.05.2022