TTR: Wieso ist das Thema "Overtourism" für die Tiroler Tourismuswirtschaft relevant?
Marion Mitterstätter: Die Einnahmen aus der Tiroler Tourismuswirtschaft machen schätzungsweise 17,5 % der gesamten Bruttowertschöpfung des Landes aus und sind damit auch für die Gesamtwirtschaft von großer Bedeutung. Um diese Einnahmen langfristig sichern zu können, ist eine nachhaltige Tourismusentwicklung essentiell für Tirol. Wer sich mit dem Thema Tourismustrends auseinandersetzt, ist sicherlich schon mehrmals auf den Begriff Overtourism gestoßen. Dieser wird seit 2016 in der Literatur und in den Medien verwendet, um auf das Problem von „zu viel“ Tourismus aufmerksam zu machen. Bei Overtourism wird darum grundsätzlich von einer zu hohen Tourismusintensität ausgegangen. Bei genauerer Analyse der Literatur geht jedoch hervor, dass die Bedeutung des Begriffes viel weitläufiger und komplexer ist. Zudem wird das Phänomen meist mit beliebten städtischen Destinationen wie Barcelona und Venedig in Verbindung gebracht. Zu Overtourism in ländlichen Destinationen gibt es dagegen sehr wenig Literatur, obwohl aufgrund verschiedener Entwicklungen, wie beispielsweise dem Trend hin zum Aktiv- und Radurlaub, ein Boom des ländlichen Tourismus zu erwarten ist. Um eine nachhaltige Tourismusentwicklung in Tirol zu ermöglichen, ist es notwendig, Overtourism und die daraus entstehenden Probleme für die lokale Bevölkerung in ländlichen Destinationen besser zu verstehen.
TTR: Was sind die Kernergebnisse Ihrer Arbeit?
Marion Mitterstätter: Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurde eine quantitative Studie über das Tourismusbewusstsein der lokalen Bevölkerung in einer ländlichen Destination durchgeführt. Ähnlich wie Tirol entspricht auch meine Heimatregion Überetsch-Unterland in Südtirol einer ländlichen Destination, weshalb die Befragung dort durchgeführt wurde. Dabei wurden Einheimische zweier Gemeinden mit einer unterschiedlich hohen Tourismusintensität über deren Wahrnehmung der Auswirkungen des Tourismus befragt.
Die Ergebnisse zeigten, dass Personen, die in der Gemeinde mit der höheren Tourismusintensität leben und damit in ihrer Hauptumgebung eher von Overtourism betroffen sind, eine positivere Einstellung gegenüber dem Tourismus haben, als Personen aus der anderen Gemeinde. Aufgrund dieses Ergebnisses ist die Tourismusintensität entgegen der Erwartungen keine geeignete objektive Messgröße, um Overtourism zu bestimmen. Zudem ging aus den Ergebnissen hervor, dass einige negative Auswirkungen des Tourismus von den Einheimischen stärker wahrgenommen werden als andere, wodurch diese als Hauptrisikofaktoren für Overtourism in der ländlichen Destination gelten. Dies sind verstärkte Verkehrs- und Parkplatzprobleme, eine punktuelle Überfüllung in der Destination, steigende Grundstücks- und Immobilienpreise sowie ein Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten.
TTR: Welche konkreten Handlungsempfehlungen geben Sie in Ihrer Masterarbeit?
Marion Mitterstätter: Aus den Ergebnissen der empirischen Untersuchungen geht hervor, dass die Überfüllung ein wesentlicher Hauptrisikofaktor für Overtourism in der Destination ist. Dadurch ergibt sich die Handlungsempfehlung, Frequenzmessungen durchzuführen, um die Überfüllung mit handfesten Daten messen und beobachten zu können. Dies gilt nicht nur für gut besuchte Orte und Attraktionen, sondern auch für den Verkehr auf vielbefahrenen Straßen. Anhand dieser Messwerte sollen anschließend Besucherlenkungsprogramme entwickelt werden. Dadurch sollen TouristInnen zeitlich und räumlich sinnvoller verteilt und demnach der Überfüllung und den Verkehrsproblemen entgegengewirkt werden. Die wahrgenommenen Preissteigerungen, welche die Einheimischen der Tourismusentwicklung anlasten, sollen auf deren Tatsächlichkeit überprüft werden. Dieser Überprüfung soll anschließend eine Bewusstseinsbildung der einheimischen Bevölkerung folgen. Die EinwohnerInnen sollen darüber aufgeklärt werden, ob, warum und wie es zu den steigenden Lebenskosten kommt. Durch diese Transparenz soll die Einstellung der Einheimischen gegenüber dem Tourismus verbessert werden. Die Zuständigkeit der oben genannten Handlungsempfehlungen soll sinnvoll auf Regions- oder Gemeindeebene verteilt werden. Auswirkungen, welche einen größeren Raum betreffen, wie beispielsweise erhöhte Lebenshaltungskosten, sollen auf Regionsebene behandelt werden. Hierbei sind die Destinationsmanagementorganisation sowie die Landesregierung wichtige Akteure. Auf Gemeindeebene sind es vor allem die Tourismusvereine, welche diese Implikationen umsetzen sollten.
Da die Tourismusintensität in der vorliegenden Arbeit als ungeeignete Messgröße für Overtourism identifiziert wurde, ergibt sich außerdem die Handlungsempfehlung, andere objektive Bestimmungsgrößen für das Phänomen zu finden, um es frühzeitig zu erkennen.
Marion Mitterstätter, MA
Marion Mitterstätter hat nach ihrem Bachelorstudium „Unternehmensführung in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft“ auch das Masterstudium „Entrepreneurship & Tourism“ am Management Center Innsbruck absolviert und dieses 2021 abgeschlossen. Während ihres Studiums sammelte sie Berufserfahrung in zahlreichen Praktika, darunter auch im Destinationsmarketing, wo ihr Interesse am Phänomen Overtourism geweckt wurde. Nach dem Studium begann sie im Marketing eines international führenden Herstellers von Beschneiungsanlagen zu arbeiten.
Masterarbeit Betreuung: Theresa Mitterer-Leitner, MA
Titelbild: Tirol Werbung
Datum: 18.01.2022