TTR: Wieso ist das Thema der Berechnung des Klimafußabdruckes auf Destinationsebene für die Schweiz relevant?
Christian Baumgartner: Der Klimawandel ist eine der aktuell größten gesellschaftlichen Herausforderungen, die selbstverständlich auch den Tourismus betrifft. Laut Regierungsbeschluss soll die Schweiz bis 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Dies bedeutet Netto-Null Emissionen bis zum Jahr 2050 und dies betrifft auch den Tourismus. Konkrete Konzepte wie Netto-Null Emission im Tourismus erreicht werden kann, gibt es bislang nicht, die "Langfristige Klimastrategie der Schweiz" (Bundesrat, 2021) geht auf den Tourismus nicht konkret ein. Die drei Graubündner Destinationen Arosa, Davos und Valposchiavo stellen sich nun dieser Verantwortung und suchen – unterstützt von myclimate und der Fachhochschule Graubünden – modellhaft einen Weg zum umfassenden Klimaschutz im Tourismus.
TTR: Worum geht es bei eurem Forschungsprojekt konkret?
Christian Baumgartner: Mit dem Forschungsprojekt wollen wir für die drei Modellregionen Arosa, Davos, und Valposchiavo eine Methode zur umfassenden Berechnung des touristischen Klimafußabdruck sowie durch Modellierung ein laufendes Monitoring schaffen. Gleichzeitig entwickeln wir auch ein Modell zur umfassenden systematischen Reduktion des Klimafußabdruck in einer umfassenden Partnerschaft zwischen Destination und Leistungsträgern. Die klimarelevanten Maßnahmen stellen dabei nicht nur eine (klima)politische Notwendigkeit dar, sondern können in vielen Fällen auch zu einer Reduktion der Betriebskosten der Leistungsträger führen. Dieses Modell soll einen Ausgleich der unvermeidbaren Emissionen durch regionale (CDM kompatible) Maßnahmen schaffen. Parallel dazu wird untersucht, durch welche geeigneten Instrumente in der Nachhaltigkeitskommunikation und Anreizmechanismen (‘Nudging’) reale und potentielle Gäste als Verbündete für die Klimaneutralität gewonnen werden können. Damit kann die Klimaneutralität auch als Sensibilisierungsmaßnahme für die Gäste und als wichtiges Marketingargument zur Positionierung der Destinationen eingesetzt werden.
Bei der Berechnung wir auf Vollständigkeit und Relevanz, Anwendbarkeit und Mindestgenauigkeit Wert gelegt. Zudem erfolgt eine geografische Abgrenzung sowie eine Systemabgrenzung. Die Daten werden - wo vorhanden - als Vollerhebung durchgeführt, zum Teil exemplarisch erhoben und für die Destination hochgerechnet.
TTR: Mit welchen Herausforderungen habt ihr bei der Datenerhebung zu kämpfen?
Christian Baumgartner: Das betrifft einerseits die Berechnung der An- und Abreise, welche den größten Teil der Emissionen darstellt (Umweltbundesamt, 2020; UNWTO & ITF, 2019). Gleichzeitig gibt es hier in den wenigsten Fällen systematisch erhobene Daten. Aktuelle Destinationszertifizierungen wie das österreichische Umweltzeichen (2023) oder TourCert Austria (2023) legen ein verpflichtendes Kriterium in deren Erfassung. Die optimale Lösung für die Erfassung der Anreisemobilität wäre die Einführung der Rubrik Verkehrsmittel am Meldezettel. Bei Vorliegen der Heimatadresse sowie des / der Verkehrsmittel, kann mit statistischen Zahlen zur Verteilung zwischen Elektro-, Benzin- und Dieselautos bzw. durchschnittlichen Verbräuchen und Emissionen brauchbare Berechnungen durchgeführt werden. Da es dies aber noch nicht gibt, müssen wir auf Näherungsberechnungen wie stichprobenartige Befragungen und Hochrechnungen oder die Analyse von Mobiltelefon-Daten zurückgegreifen. Zu letzterem laufen aktuell erste Versuche in Arosa mit der Unterstützung von 42hacks und der Swisscom (42hacks, 2023).
Anders als in gewerblichen Unterkünften besteht in – eigenen privaten – Ferienwohnungen keine Meldepflicht. Daher gibt es kaum robuste Daten zu Belegungszeiten, was in Verbindung mit der teils sehr hohen Ferienwohnungsdichte in einigen Destinationen zu größeren Unschärfen sowohl in den Emissionen der Unterkünfte wie auch den Mobilitätsdaten führt. An dieser Stelle sieht das Projekt Hochrechnungen aus durchschnittlichen Belegzeiten (BFS, 2023) in Kombination mit stichprobenartigen Erhebungen in der jeweiligen Destination vor.
Sobald die Klimafußabdrucks Erhebung flächendeckend ausgerollt ist, müssen Doppelzählungen in benachbarten Destinationen vermieden werden. Beispielsweise könnte die Mobilität vor Ort eines Nächtigungsgastes in der einen Destination als Tagestourismus in die Nachbardestination gezählt werden. Grundsätzlich sollten Emissionen, welche durch Aktivitäten anfallen, die außerhalb der Destination getätigt werden, nicht in die Systemgrenze der Destination gezählt werden. Diese Emissionen gehören dann zur Systemgrenze der Nachbardestination bzw. da, wo der Tagestourismus stattfand.
TTR: Welche Strategien und Empfehlungen können aus den Ergebnissen abgeleitet werden?
Christian Baumgarnter: Definiertes Ziel ist die Klimaneutralität der beteiligten Destinationen. Von Klimaneutralität spricht man, wenn menschliche Aktivitäten keine Nettoauswirkungen auf das Klimasystem haben. Um einen solchen Zustand zu erreichen, müssen die verbleibenden Emissionen durch den Abbau von Emissionen (Kohlendioxid) ausgeglichen werden und es müssen die regionalen oder lokalen biogeophysikalischen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten berücksichtigt werden, die beispielsweise die Oberflächenalbedo oder das lokale Klima beeinflussen (IPCC, 2018).
Im Projekt KlimDest wird der Dekarbonisierungsansatz Vermeiden-Reduzieren-Investieren forciert. Ziel ist es, CO2e-Emissionen wo möglich zu vermeiden, oder den CO2e-Fussabdruck kontinuierlich mit aktiven Maßnahmen in der Destination und bei Leistungsträgern zu reduzieren. Für die nicht vermeidbaren CO2e-Emissionen wird Verantwortung übernommen, indem Investitionen in Klimaschutzprojekte getätigt werden. Mittel- und langfristig sollen die Destinationen ein Netto-Null Ziel verfolgen.
Das Programm myclimate «Cause We Care» ermöglicht es, den Dekarbonisierungsansatz sowohl auf Destinationsebene wie auch bei den einzelnen Leistungsträgern konsequent zu verfolgen. Den Gästen und Kunden wird die Möglichkeit geboten, bei einer Übernachtung, beim Einkauf oder beim Bezug einer Service- oder Dienstleistung freiwillig einen zusätzlichen Klimaschutzbeitrag zu leisten. Wird dieser Klimaschutzbeitrag bezahlt, verdoppelt das Unternehmen, bei welchem die Leistung bezogen wurde, den Betrag. Der verdoppelte Betrag fließt in den eigenen Nachhaltigkeitsfonds des Leistungsträgers und kann für ökologische Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Unternehmen selbst eingesetzt werden.
Zudem werden Klimaschutzprojekte gefördert, um den Einsatz von erneuerbarer Energie, Energieeffizienzmaßnahmen oder die Reduzierung des Methanausstoßes zu realisieren. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Klimakommunikation zum Gast. Aufgrund von Befragungen in Arosa wissen wir, dass 70% der Gäste bereit sind, für Kompensationen für verkehrsbedingte Emissionen zu zahlen. Allerdings präferieren sie lokale gegenüber globalen Kompensationsprojekten auf anderen Kontinenten. Der Ansatz des Nudging spielt hier eine zentrale Rolle. Informationen müssen einfach und ansprechend präsentiert, Kompensationsangebote direkt in den Buchungsprozess eingebunden werden. Das Kompensationsangebot sollte den Verbrauchern die Möglichkeit geben, ihre Kompensation auf verschiedene Projekte aufzuteilen. Dadurch können beide Gruppen erreicht werden und eine insgesamt höhere Bereitschaft zur Teilnahme an der Kompensation erreicht werden.
Die Umsetzung der Empfehlungen könnte durch die Kombination verschiedener Interventionstypen zu einer erheblichen Steigerung der Kompensation verkehrsbedingter Emissionen im Tourismus führen. Dies wäre nicht nur ein wichtiger Schritt für die Destination Arosa, um ihr Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, sondern auch für die Verringerung der globalen atmosphärischen Emissionen. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass das Konzept der Kompensation ein großes Potenzial birgt und Wege gefunden werden können, es zu nutzen, indem Touristen als Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel gewonnen werden. Es gibt keine Einzellösung, um die Klimakrise zu lösen, aber ein Zusammenspiel ausgeklügelter, vielseitiger, sich ergänzender Maßnahmen kann einen entscheidenden Unterschied machen.
Christian Baumgartner, FH Graubünden
Christian Baumgartner studierte Landschaftsökologie und ist Professor für Nachhaltigen Tourismus an der FH Graubünden (Schweiz) und Inhaber von Response & Ability. Er ist auf die Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigem Tourismus und nachhaltiger Regionalentwicklung spezialisiert und leitete konkrete Tourismusentwicklungsprojekte in Europa, Zentral- und Südostasien. Christian Baumgartner ist zudem Vizepräsident der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA. Darüber hinaus verfügt er über grosse Erfahrung im Bereich Labelling und Monitoring und baut u.a. gerade TourCert Austria auf und ist Mitglied zahlreichen Beiräten von Nachhaltigkeitslabels und touristischen Verbänden.
Neben Christian Baumgartner sind ebenso Bettina Kahlert und Cornelia Rutishauser von der Stiftung myclimate sowie Bianca Schenk von der Fachhochschule Graubünden an diesem Forschungprojekt beteiligt.
Datum: 16.05.23
Bildnachweis: Erik Mclean auf Unsplash, Fachhochschule Graubünden, Myclimate, response & ability