"Sehe ich eine Krise als Zeit des Wandels, geht es mir schon ein bisschen besser." (Romana Prinoth Fornwagner, italienische Archäologin und Prähistorikerin)
Ganz nach diesem Motto wollen wir in dieser Inspiration nicht beleuchten, wie sehr die Corona-Krise dem Tourismus schadet - das wissen Sie alle nur zu gut. Wir wollen versuchen, nach vorne zu sehen und zu beleuchten, was derzeit alles oder gerade wegen Corona möglich geworden ist.
Niemand war auf diese Krise vorbereitet. Niemandem war bewusst, wie schnell sich unser aller Leben ändern würde. Und in der ersten Phase befanden wir uns in der Phase der Schockstarre. Skigebiete, Hotels und Restaurants wurden geschlossen, der Tourismus vielfach für die Ausbreitung verantwortlich gemacht. Einige Branchen kamen recht schnell aus dieser Schockstarre heraus und änderten in kreativer Weise ihre Geschäftsfelder. So produzieren inzwischen Modemarken wie Armani oder Prada, Outdoormarken wie Salewa, Autohersteller wie Seat, Autozulieferer oder Brillenhersteller wie Gloryfy Unbreakable Schutzmasken, Beatmungsgeräte und Schutzkleider, Schnapsbrennereien, Bierbrauer und Parfumhersteller stellen Desinfektionsmittel her. Not macht bekanntlich erfinderisch.
Doch nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Gesellschaft finden neue "alte" Werte wieder mehr Einzug in unseren Alltag, wie z.B. Solidarität. Dies reicht von Balkonkonzerten, gemeinsamer Musik über digitale Kanäle, dem Streamen von Filmen auf der Hauswand bis zu Initiativen, um ältere Menschen zu unterstützen, digital über eine App wie hilfma, auf Facebook, oder ganz analog als Aushang an der Eingangstür. Viele Tiroler SchneiderInnen nähen Schutzmasken, ebenso die Kostümschneiderei des Tiroler Landestheaters, oder Einzelpersonen, die Mund-Nasen-Schutz nähen und gratis zur Verfügung stellen. Eine Auswahl von individuellen Masken heimischer Labels hat der Standard zusammengestellt. Andreas Reiter vom ZTB Zukunftbüro in Wien spricht davon, dass der Begriff "social distancing" völlig falsch wäre, da es ja eigentlich nur um "physical distancing" geht und benennt die neue Solidarität im Netz als "digitale Empathie". Ein Schweizer wurde erfinderisch und entwickelte die Bsuechsbox, in welcher sich Menschen trotz physical distancing treffen und miteinander reden könne.
Ganz zu schweigen von den vielen Initiativen, welche versuchen, den lokalen Handel zu stärken, wie z.B. einer Plattform der Wirtschaftskammer, wo sich Unternehmen eintragen können, die Onlineshops oder einen Lieferservice anbieten, Wir kaufen in Tirol mit dem Slogan "Ja zu Tirol", der App Regional.Tirol, oder einer Idee von einigen Kreativen aus der Tiroler Wirtschaft, Denke Österreich. Weiters hat sich ganznah.tirol als Online-Einkaufszentrum positioniert. Die Digitalagentur Maweo hat hingegen einen Chatbot entwickelt, um in Zeiten der Quarantäne das Home Shopping zu vereinfachen. Um's Eck nennt sich dieser und bietet neben Essen auch Mode, Musik oder Blumen an. Die Initiative nitwurscht.at wurde von zwei Innsbruck Agenturen geschaffen und ermöglicht den Erwerb von Gutscheinen für kleine Unternehmen in Tirol. Mit Gutscheinen arbeitet zudem citylove. Zu den Österreich-weiten Plattformen zählen RegiÖnal , kaufdaheim.at, kauftregional.at, die Plattform Österreichischer Webshps, Nunukaller.com, Shöpping.at, Snooop.net oder Österreich liefert.
Auch um die Menschen zu Hause bei Laune zu halten, gibt es viele kreative Ansätze. Auf der einen Seite war gerade in Zeiten, als sich ganz Tirol in Quarantäne befand, das Home Work Out sehr gefragt. Videos gibt es hierfür von vielen Privaten, Fitnesscentern, und inzwischen auch vom Land Tirol. Zudem fördert die Krise bei manchen auch die Kreativität, wie das Video "Freeride Skiing at Home" von Philipp Klein zeigt. Mit über 700.000 Views auf YouTube in weniger als sieben Tagen hat er hier wohl einen Nerv bei Naturliebhabern getroffen. Ein ähnliches Video gibt es als Kletter-Edition inzwischen von Nomad Bloc. Auch das Olympic Team Austria zauberte ein Schmunzeln ins Gesicht mit seinem legendären Rennen um die goldene Klopapierrolle. Und um den After-Work Drink nicht missen zu müssen, gibt es auch hierfür inzwischen Ersatz im Netz, die After Home-Office Drinks von WEIN & CO.
Alle Veranstaltungen sind in Österreich bis Ende Juni abgesagt. Diese dürfen derzeit nur virtuell stattfinden. Dafür ist das digitale Kulturangebot in den letzten Wochen extrem gestiegen. So finden Konzerte, Lesungen, Kabaretts, Poetry slams, Ausstellungen, Filmfestivals und Stadtspaziergänge in der virtuellen Welt statt, live oder zum streamen. Google Arts & Culture bietet weiteweite Besichtigung berühmter Stätten und Sehenswürdigkeiten über Street View an. In Tirol hat sich die Kulturquarantäne formiert, das Stadtarchiv Innsbruck bietet einen Spaziergang durch die Landeshauptstadt vom Sofa aus, das Innsbrucker Kulturzentrum Treibhaus bietet täglich Trost & Ermutigung, die Stadtbibliothek Innsbruck sammelt Online-Vorlesetipps, und vieles mehr. Unter alive@home werden österreichische KünstlerInnen unterstützt und ihnen eine Plattform geboten.
Dass aber auch Sportveranstaltungen online stattfinden können, zeigt das Beispiel der Flandern Radrundfahrt in den Niederlanden. Die "De Ronde 2020 Lockdown session" wurde als eRacing Wettbewerb ausgerichtet. Über die Trainingsplattform Bkool lieferten sich Rennrad-Profis auf der virtuell nachgebauten Flanderrundfahrt ein live Rennen im Internet. Auch Lauf- und Radtrainings finden online statt, wie z.B. der #distancerun oder dem Corona Ride Austria.
Und nach einem beinahe leeren Peters- als auch Stephansdom zu Ostern wird auch die katholische Kirche kreativ. Leben Live-Übertragungen in TV, Radio und im Internet fanden in Dänemark Messen im einem ähnlichen Format wie einem Drive-in Kino statt. In England stellte sich ein Priester auf die Straße und begann dort, Messen abzuhalten - mit dem notwendigen Abstand versteht sich. Auch in Tirol finden inzwischen viele Messen online statt. Selbst Arztbesuche sollen jetzt virtuell möglich sein, durch ein virtuelles Wartezimmer.
Wo der Abstand nicht möglich ist, da könnten in Zukunft vielleicht auch vermehrt Roboter eingesetzt werden, so z.B. in China, um Krankenhäuser zu desinfizieren. Sie könnten dort Menschen bei der Arbeit unterstützen, wo ansonsten die Ansteckungsgefahr zu groß wäre.
Auch im Sinne der Datenvisualisierung hat sich - gerade in Tirol - innerhalb kürzester Zeit viel getan. So werden auf dem Dashboard des Landes Tirol Zahlen im Detail übersichtlich dargestellt und bis auf Gemeindeebene hinunter transparent kommuniziert.
Aber wie verändert die Krise den Tourismus? Mehr dazu lesen Sie in Teil 2 dieses Beitrages.
Dr. Birgit Bosio
Birgit Bosio hat den ersten Diplomjahrgang des MCI Tourismus absolviert und anschließend zwei Jahre in der Marktforschung der Tiroler Werbung gearbeitet. Gemeinsam mit Hubert Siller (MCI) und Michael Brandl (ehemals TW) zeichnet sie für die Entstehung des TTR verantwortlich. 2016 hat sie an der Universität Salzburg promoviert.
“Die Arbeit mit dem TTR ist spannend, da man sich täglich mit neuen Entwicklungen & Trends beschäftigen und ständig am Ball bleiben muss. Gleichzeitig stellt es aber dauernd eine Herausforderung dar, dem Nutzer diese Informationen kundengerecht und in der richtigen Dosis interessant aufzubereiten.”
Im TTR Team seit: November 2006
Zuständig für: Strategie & Konzeption, Tourismusforschung, Content Management, Social Media